07. September 2021 | Ulrike Walchshofer (60)
Ich bin immer beschäftigt mit meiner Krankheit durch das Selbstmessen, aber ich bin frei!

Ulli ist Mitbegründerin der INR Austria, einer Selbsthilfegruppe von Gerinnungspatienten, die 2006 gegründet wurde.

„Ich hab am Anfang eigentlich den Sinn nicht gesehen, warum ich das selbst machen sollte und mittlerweile möchte ich nicht mehr tauschen. Im Urlaub ist es oft, dass man die Ernährung umstellt, das Klima ist anders, und dadurch können sehr wohl Schwankungen auftreten. Und da bin ich mit dem Selbstmessen immer auf der sicheren Seite. Und ich pass die Medikamentendosis meiner Lebensweise an und nicht umgekehrt.“

Ulli wurde als sogenanntes „blaues Baby“ geboren. Bei ihr hat sich der Ductus arteriosus, der im fetalen Blutkreislauf eine Verbindung zwischen Aorta und Lungenarterie herstellt, nach der Geburt nicht verschlossen. Daher wurde sie im Alter von 6 Jahren zum ersten Mal am Herzen operiert. „Bis dahin habe ich nicht mit anderen Kindern spielen dürfen. Ich bin also immer in der Wohnung gesessen.“ Nach der OP war Ulli dann eigentlich gesund – bis zum Alter von 25 Jahren.

„Ich bin zur Untersuchung ins Krankenhaus, weil ich beim Bergsteigen, Langlaufen etc. immer die Schwächste war und ich sehr oft mit Luftproblemen zu kämpfen hatte. Im Jahr 1985 wurde die Mitralinsuffizienz festgestellt und im Jahr 1987 die Aortenstenose. Allerdings wurde von einer vorschnellen Operation abgeraten und ich wurde damit entlassen, auf meinen Körper zu hören bzw. meine Leistungsfähigkeit zu überprüfen.  Originalton des Arztes: Wenn sie ein Stockwerk ohne Pause nicht mehr schaffen, dann wird es Zeit für die OP.

1994 wurde Ulli schwanger und ihr Sohn wurde geboren. „Danach konnte ich natürlich nicht mehr so viel Sport machen, habe zugenommen und dadurch auch mehr Luftprobleme gehabt.“

Ihre jährlichen Kontrolltermine nahm sie gewissenhaft wahr. Die Ergebnisse waren immer gleichbleibend. Da sie meist mit dem Lift fuhr und kaum Treppen stieg, nahm sie die körperlichen Verschlechterungen nicht wahr. „Im Herbst 2002 war es dann so schlimm und ich habe mir vorgenommen, gleich nach Weihnachten ins Krankenhaus zu gehen. Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Aus irgendeinem nichtigen Grund habe ich mich im Büro aufgeregt und hab Herzrasen bekommen, das nicht mehr aufhörte. Nach drei Stunden bin ich mit der Rettung ins KH gefahren. Nach den ganzen Untersuchungen wurde festgelegt, dass die OP so schnell wie möglich gemacht werden soll.“

Nachdem bei Ulli ein EKG, ein Herzecho, ein Schluckecho sowie eine Angiographie durchgeführt wurden, sollte die Aortenklappe durch eine künstliche Klappe ersetzt und die Mitralklappe rekonstruiert werden. „Dafür bin ich extra nach Wels zu einem Spezialisten für Rekonstruktionen -Dr. Ng  – überwiesen worden. Leider hat sich am Tag vor der OP rausgestellt, dass die Mitralklappe so kaputt ist, dass man nichts mehr rekonstruieren kann.“

„Ich wurde 8 Stunden lang operiert. Als ich nach der OP wieder aufgewärmt wurde, hatte ich Nachblutungen, d.h. es kam Blut aus der frischen Narbe. Das hieß, wieder runterkühlen, die Narbe wieder öffnen und die undichte Stelle finden. Ich war dann bis nächsten Tag im Tiefschlaf und eine Woche auf der Intensivstation. Die Ärzte waren vorbildlich und die Schwestern und Pfleger wirklich ausgesprochen nett. Ich kann mich einfach an vieles nicht mehr erinnern, z.B. was ich dort gegessen habe. Ich weiß noch, dass jeden Tag der Apparat fürs Lungenröntgen zu mir kam. Anscheinend hatte ich doch einiges an Wasser im Körper. Nach ein paar Tagen bekam ich unter Bewusstsein eine zusätzliche Drainage verlegt (nahe der rechten Brust). Ich habe überhaupt nichts gespürt, wahrscheinlich war ich mit Schmerzmittel ziemlich zugedröhnt.“

Ulli musste 7 Tage auf der Intensivstation und 2 Tage auf der Normalstation in Wels liegen, danach wurde sie noch für eine Woche in ihr Ortskrankenhaus verlegt.

In den ersten drei Monaten nach der OP schmerzte Ulli der Brustkorb häufig sehr stark. „Am Anfang war es ganz schlimm, da konnte ich mitunter eine Tür nicht öffnen, wenn ich ziehen sollte. Vor Lachen, Husten und Niesen ist dringend abzuraten😀“

Das Klicken der künstlichen Herzklappen hat Ulli am Anfang doch sehr gestört. „das war einfach ungewohnt, und speziell beim Einschlafen, wenn rundherum alles ruhig ist, hört man es dementsprechend laut. Mittlerweile habe ich mich an das Geräusch meiner künstlichen Herzklappen wirklich gewöhnt und es gehört einfach zu mir“

Auch auf persönlicher Ebene lief nicht alles glatt. Ullis Ehe zerbrach „Ich glaube, mir ist da bewusst geworden, dass das Leben zu kurz für Kompromisse ist“. Auch der Rückhalt aus dem Freundeskreis war nicht so, wie man es sich wünschen würde.

„Manche konnten damit gar nicht umgehen und haben gar nichts gesagt. Andere haben mich bemitleidet (ich hasse Mitleid). Mit der Scheidung habe ich dann ohnehin die meisten Bekannten – die ja seine Bekannten waren – verloren. Verstanden habe ich mich gefühlt im Herzklappen-Forum bei Christian, da waren lauter Gleichgesinnte. Das war auch ein Grund, eine Selbsthilfegruppe zu gründen.“

Zudem setzte Ulli der Eingriff psychisch stark zu: „Nachdem ich nach der OP öfter Herzrasen hatte, habe ich wahnsinnige Angst vor schnellem Puls. Jedes Mal bei Herzrasen habe ich Todesangst!“

Doch Ulli gab nicht auf. „. Ich lebe gerne. Ich war bei der OP 42 und habe nicht damit gerechnet, 43 zu werden. Jetzt bin ich vor kurzem 60 geworden und finde das einfach großartig. Ich denke mir oft, der liebe Gott wird oben sitzen und sagen: „Lasst die Walchshofer bloß noch unten, die brauchen wir hier noch nicht.“ Sie nahm 20 Kilo ab „das tut meinem Herz und auch mir so gut. Seitdem schlägt es ganz ruhig. Na gut, Vorhofflimmern habe ich jetzt auch dauerhaft, aber das ist erträglich und vor allem spüre ich das nicht.

So schlimm die Zeit auch war, ich habe so viel gewonnen. Ich lebe so bewusst, ich liebe alle Jahreszeiten, ich kann mich an der Natur kaum sattsehen. Manches, das mich früher aufgeregt hat, entlockt mir heute maximal ein Lächeln.“

Aufgrund ihrer künstlichen Herzklappen muss Ulli zeit ihres Lebens Blutgerinnungshemmer einnehmen. Bei ihrer Reha in Großgmain lernte sie das Gerinnungs-Selbstmanagement kennen, was ihr eine neue Lebensperspektive gab. „Freiheit in Gebundenheit – dieser Spruch trifft es einfach. Man hat sein Päckchen zu tragen, aber man ist frei. Ich hätte mir nicht vorstellen können, jede Woche zum Arzt zu fahren. So kann ich immer und überall selbst messen, bin unbeschwert im Urlaub. Ich passe die Medikamentendosis meiner Lebensweise an und nicht umgekehrt.“ Wöchentlich misst sie ihren INR Wert und sieht dann, wie dünn oder dick das Blut ist. Danach stellt sie ihre Wochendosis an blutverdünnenden Mitteln ein.

Aktuell misst nur jeder 10. Gerinnungspatient selbst, obwohl jeder 2. dazu in der Lage wäre. Zu selten wird das Messgerät verschrieben.

„Ich würde mir wünschen, dass alle Ärzte den Patienten einfach auch ein wenig zutrauen. Wir haben das auch gelernt und sind immer damit beschäftigt und kennen unseren Körper. Ich lasse mir gerne vom Arzt etwas sagen, aber bitte auf Augenhöhe.“

Viele Patienten haben Angst davor, ihr Leben lang Blutgerinnungsmittel zu schlucken. Deshalb möchte Ulli allen mit auf den Weg geben:

„Marcoumar ist nicht das Schreckgespenst, für das es oft gehalten wird! Es gibt die Möglichkeit der Selbstmessung gibt und damit kann kann wirklich unabhängig sein und sein Leben gestalten.“

Ziel unseres Vereins ist, mehr Bewusstsein für Herzklappenerkrankungen in Österreich zu schaffen und somit langfristig die frühzeitige Erkennung und erfolgreiche Behandlung zu fördern.

Wir möchten informieren, Betroffene unterstützen, Menschen zusammenbringen, Wissen zur Krankheit vermitteln und somit mithelfen, unnötige Herzklappen-Tode zu vermeiden.

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